Physiotherapie

Die Fusion von Fitness & Physio - Praxisinhaber und Industrie im Interview

Wir wollten von Praxisinhabern und Industrievertretern wissen, warum die Kombination von Fitness & Physio so wichtig ist und wie sie die aktuelle Situation einschätzen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die klassische, passive Physiotherapie reicht in unserer Gesellschaft nicht mehr aus und sollte durch eine anschließende aktive Trainingstherapie ergänzt werden, um nachhaltige Erfolge zu erzielen.
  • Auf diese Weise wird das Gesundheitssystem entlastet und es werden Therapieplätze für Akut-Patienten frei.
  • Aus Arbeitgebersicht ergeben sich wirtschaftliche Freiräume und die Attraktivität als Arbeitgebermarke steigt enorm.
  • Das Zusammenwirken von Physiotherapie und Fitness gelingt in einer Physiotherapie mit entsprechender Trainingsfläche ebenso gut wie in einem Fitnessstudio mit angeschlossener Physiotherapie.

Portrait von Andreas Ahlhorn, Inhaber Medical Lounge Mainz

Andreas Ahlhorn, Inhaber Medical Lounge Mainz

„Aus Praxissicht hat es mehrere Vorteile, in direkter Nachbarschaft eines Studios und in enger Kooperation zu fungieren. Thema Recruiting: Die Therapiebranche befindet sich in einem Akademisierungsprozess und bedient sich dabei aktuell vor allem an den sportwissenschaftlichen Erkenntnissen. Dadurch verschwimmen die Grenzen und Krafttraining, Fitness und Mobility spielen auch in der Therapie eine immer größere Rolle.

Akademisierte junge Therapeuten arbeiten folglich lieber in einer Praxis mit vielen aktiven Möglichkeiten. Auf der anderen Seite profitieren gesundheitsorientierte Studios ebenfalls auf mehreren Ebenen von der Angliederung einer Physiotherapiepraxis. Auch hier ist Recruiting von qualifizierten Trainern ein wertvolles Thema.

Die Entwicklung, aus den Patienten Kunden zu machen, ist aus Studiosicht sicher im Fokus und hierzu gibt es viele gute Strategien, abhängig von der Ausrichtung des Studios. Wir haben hier gute Erfahrung mit regelmäßigem Austausch der Trainer und Therapeuten gemacht. Das allein bringt allerdings noch kein nennenswertes Outcome, es bildet nur die wichtige respektvolle persönliche Grundlage der Schnittstelle.

Ein klarer und für jeden nachvollziehbarer Prozess für den Patienten-Walk-in ist dann der Schlüssel. Sind Praxis und Studio in derselben Hand, kann man davon ausgehen, dass die Kosten und aufwendigen Maßnahmen, Walk-ins und Call-ins zu generieren, zum Großteil durch die Physiotherapiepraxis ersetzt bzw. ergänzt werden, und zusätzlich macht das Marketingtool noch einen nicht unerheblichen Umsatz.“

Bildquelle: © Medical Lounge Mainz

Portrait von Nick Bol, Geschäftsführer MYOKRAFT & MYO Performance

Nick Bol, Geschäftsführer MYOKRAFT & MYO Performance

„Warum eine Verschmelzung der Bereiche Fitness und Physiotherapie sinnvoll ist und warum beide Bereiche voneinander profitieren? Ganz einfach. Therapie = Training und Training = Therapie. Der Mensch verändert sich schneller als je zuvor und wird in rasantem Tempo inaktiver. Eine klassische, passive Physiotherapie hat natürlich ihren Mehrwert, reicht allerdings nicht aus in einer Gesellschaft, in der wir, laut aktueller Studien, im Schnitt wöchentlich doppelt so viel Zeit auf der Toilette verbringen wie beim Sport. Daher gibt es für unsere aktuelle Gesellschaft keine bessere Art von Therapie als Training.

Es gibt mehrere Herausforderungen, die wir meistern müssen, um beide Bereiche miteinander zu verschmelzen. Bei MYOKRAFT haben wir in den letzten Jahren all unsere Prozesse optimiert, um dies zu erreichen, und hierdurch ist eine großartige Win-win-Situation entstanden: für den Therapeuten, indem eine abwechslungsreichere Arbeit angeboten wird, für den Patienten, weil wir schnellere und nachhaltigere Behandlungsergebnisse ermöglichen.

Die Trainingskunden profitieren dadurch, dass sich mehr als ein Trainer auf der Fläche befindet, und von einem höheren Maß an Kompetenz. Und auch die Geschäftsführung profitiert, da dies zu einem nachhaltigen Wachstum in beiden Bereichen führt.“

Bildquelle: © MYOKRAFT

Portrait von Andreas & Judith Bucher, Inhaber LANDphysio

Andreas & Judith Bucher, Inhaber LANDphysio

„In unserer schnelllebigen Welt, in der Stress und körperliche Beschwerden allgegenwärtig sind, suchen Menschen nach Lösungen, die sie dort abholen, wo sie gerade stehen und sie zu ihrer gewünschten Lebensqualität zurückführen.

In der Therapie bauen Menschen Vertrauen auf, sie werden berührt und in die Aktivität zurückgeführt. Die Rahmenbedingungen geben nur wenig Spielraum. Das ist in der Heilmittelversorgung als ausreichend (Schulnote 4) beschrieben. Es kann also keine optimale Versorgung stattfinden. Wie soll das auch gehen mit einem 6er-Rezept?

Hier setzen wir an – zusammen mit der Eigenverantwortung des Patienten. In Begleitung von Trainern und Therapeuten. So schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe. Das Gesundheitssystem wird entlastet und Therapieplätze werden frei für noch bedürftige Patienten.

Zudem bringt Training eine Vielzahl an Wirkungen mit sich, die in der reinen Physiotherapie begrenzt sind, um nachhaltige Erfolge zu erreichen. Mit der Vernetzung von Training und Therapie findet die Betreuung in interdisziplinären Teams statt, wodurch die Qualität in der Betreuung deutlich angehoben wird. Das kann z. B. der Discount im Fitness nicht leisten. Die Folge ist die Positionierung als Gesundheitsanbieter. Menschen mit Gesundheitsbewusstsein suchen genau danach – Qualität.

Aus Arbeitgebersicht resultieren daraus wirtschaftliche Freiräume und die Attraktivität als Arbeitgebermarke steigt enorm. Alles in allem eine Positiv-Spirale, in der jeder gewinnt.“

Bildquelle: © LANDphysio

Portrait von Cornelius Händel, Inhaber Therapiezentrum und TheraFit am Schloss

Cornelius Händel, Inhaber Therapiezentrum und TheraFit am Schloss

„Physiotherapie und Fitnesstraining verschmelzen meiner Ansicht nach nicht wirklich, vielmehr sind sie logische Ergänzungen, die sich gegenseitig befruchten können. Die Patienten sollten in einer aktiven Therapie auf das Fitnesstraining vorbereitet werden, das ihre Gesundheit langfristig stabilisiert. Die Vorteile für die Patienten stellen sich in schnellerer und anhaltender Genesung dar, wodurch die Motivation auch bei behandelnden Physiotherapeuten steigt.

Die Kombination aus Therapie und Training ermöglicht den Therapeuten, durch eine umfangreiche Ausstattung fitnessorientiert zu behandeln, was zu einer guten Teamdynamik führen kann.

Entscheidend dafür, dass beide Bereiche optimal zusammenarbeiten können, ist der Austausch zwischen den Physiotherapeuten und den Sportwissenschaftlern und -therapeuten, die den Fitnessbereich betreuen. Nur so kann die Therapie fortgeführt und alle Kontraindikationen berücksichtigt werden. Das Einschleifen solcher Prozesse dauert erfahrungsgemäß längere Zeit und benötigt immer wieder konstruktiven Austausch.“

Bildquelle: © TheraFit am Schloss

Portrait von Thomas Kämmerling, Geschäftsführer KWS GmbH

Thomas Kämmerling, Geschäftsführer KWS GmbH

„Als Sachverständiger für Physiotherapie treten wöchentlich Praxen an mich heran, die ihr bestehendes Geschäftsmodell um einen Trainingstherapiebereich für Selbstzahler erweitern wollen oder bereits erweitert haben. Therapie und Training aus einer Hand hat viele Vorteile. Zum einen bietet die Trainingstherapie ein sinnvolles Begleit- sowie Nachsorgeprogramm für viele Patienten, welches zu schnelleren und nachhaltigeren Erfolgen führt.

Zum anderen ist es wirtschaftlich sinnvoll, das Geschäftsmodell der Therapie abzusichern. Denn in der Therapie verdienen wir nur durch geleistete Behandlungen unser Geld und der Engpass liegt im Personal. Krankheit, Kündigung, Schwangerschaften sind reale Herausforderungen für Praxisinhaber.

In der Trainingstherapie hingegen verdient man durch Mitglieder sein Geld. Selbst dann, wenn ein Sporttherapeut nicht anwesend ist. Mit der KWS GmbH betreuen mein Team und ich über 150 Therapiezentren in Deutschland, die zu 98 % auf das Konzept aus Therapie und Training setzen. Und ich darf sagen, dass dieses Modell nicht nur in Zukunft, sondern schon heutzutage ein Must-do ist. Denn neben der finanziellen Risikodiversifikation und dem fachlich sinnvollen Schulterschluss von Therapie und Training bietet dieses Geschäftskonzept auch für die Mitarbeiter viel mehr Abwechslung.

Und in Zeiten des Fachkräftemangels muss man ein attraktiver Arbeitgeber sein, der seine Mitarbeiter nicht nur gut bezahlt, sondern auch tolle Rahmenbedingungen sowie Einsatzmöglichkeiten bietet.“

Bildquelle: © KWS GmbH

Portrait von Jan Scherzer, Vice President Sales EGYM DACH

Jan Scherzer, Vice President Sales EGYM DACH

„Wie steigert man den wirtschaftlichen Erfolg einer Physiotherapiepraxis? Nach herkömmlicher Sichtweise lautete die Standardantwort: durch Steigerung der Anzahl von Behandlungen, das Erhöhen der Rezeptwerte und das Einstellen neuer Therapeuten.

Doch Digitalisierung und intelligente Hardware verändern dieses Paradigma: Statt sich am klassischen Arbeitsmodell zu orientieren, setzt EGYM auf digital unterstützte Arbeitsweise, ein durchdachtes Umsetzungskonzept und hochmoderne Trainingsgeräte. Ursprünglich für den Fitnessbereich entwickelt, wurde uns schnell klar: Unser strategischer Ansatz des kongenialen Zusammenspiels von Hard- und Software und der Vernetzung unserer Produkte mit denen Dritter lässt sich ideal auf den Physiobereich adaptieren.

Ergebnis ist unser innovatives Konzept namens „Smart Therapieren“ zum Aufbau einer unabhängigen Trainingstherapie, die ganz ohne Verschreibungen funktioniert. Aus der kurzfristigen Praxis-Patienten-Beziehung wird so eine langfristige Mitgliedschaft mit enormem Nutzen für beide Seiten. Geräte und (Trainings-)Software unterstützen bzw. erleichtern die Prozesse für maximalen Erfolg unserer Physio-Kunden.

Smart Therapieren führt selbst bei Therapeuten, die nur im ersten Gesundheitsmarkt unterwegs sind, zu deutlich höherer Wirtschaftlichkeit. Sind die entsprechenden Räumlichkeiten vorhanden und setzt eine Praxis auch auf Selbstzahler, erhöht Smart Therapieren die Skalierbarkeit deutlich, senkt die Kosten und schafft unternehmerische Freiheit.“

Bildquelle: © EGYM

Portrait von Daniela Schindler, Geschäftsführerin Caldea Boutique-Studio für Training & Ernährung

Daniela Schindler, Geschäftsführerin Caldea Boutique-Studio für Training & Ernährung

„Die Bereiche Therapie und Training sind zwei faszinierende Themen, die oft weit voneinander entfernt erscheinen, aber dennoch eng miteinander verbunden sind. Es ist offensichtlich und wissenschaftlich belegt, welch positive Auswirkungen Training auf unsere Gesundheit hat. Oft reicht jedoch die alltägliche Bewegung nicht aus, um einen spürbaren Effekt zu erzielen. Ganz im Gegenteil, das viele Sitzen oder einseitige körperliche Bewegungen führen zu gesundheitlichen Einschränkungen.

Im vergangenen Jahr lag mein Schwerpunkt in der betrieblichen Gesundheitsförderung. Die meisten Teilnehmenden hatten bereits mit gesundheitlichen Einschränkungen zu kämpfen. Obwohl vielen die positiven Auswirkungen von Training und Ernährung bewusst waren, scheiterte es an der Umsetzung und Integration von neuen Gewohnheiten in den Alltag.

Die Motivation war selten das Problem. Im Gegenteil, viele hatten schon etliches ausprobiert. Oftmals fehlten Orientierung nach dem passenden Konzept und qualifizierte Betreuung, um langfristige Beschwerdefreiheit zu erreichen. Ein 3-Stufen-Plan könnte hier Abhilfe schaffen: eine therapeutische Akutversorgung, gefolgt von einer intensiven Aufbauphase und schließlich eine Integration eines aktiven Lebensstils mit regelmäßigem Training und gesunder Ernährung.

Während die Akutversorgung meist gut funktioniert, gibt es oft einen Engpass im Anschluss. Die Aufbauphase nach der Therapie wird häufig vernachlässigt, obwohl sie essenziell ist. Oftmals ist der Klient zu schnell auf sich allein gestellt. Dabei könnten angewandte Sportwissenschaften dem Training mehr Erfolg beimessen, sofern dem Klienten mehr Struktur mit an die Hand gegeben wird.“

Bildquelle: © Caldea Boutique-Studio für Training & Ernährung

Portrait von Heiko Pfeiffer, geschäftsführender Gesellschafter ELIXIA Deutschland GmbH

Heiko Pfeiffer, geschäftsführender Gesellschafter ELIXIA Deutschland GmbH

„Der Markt verändert sich. Im Fitnessbereich befinden wir uns in einem starken Verdrängungswettbewerb. Fachkräftemangel, Premiumdiscountstudios, KI, Aggregatoren, steigende Kosten und starke Onlineangebote setzen inhabergeführte Studios stärker unter Druck. Um am Markt bestehen zu können, muss man sich Trends und neue Märkte erschließen, das Angebotsportfolio stetig sinnvoll erweitern.

Das bedeutet zwangsläufig, im ersten Schritt den 1. und 2. Gesundheitsmarkt mit klaren Angeboten, Produkten, die Kundennutzen stiften und Ergebnisse liefern, zu vereinen. Für mich bedeutet das aber auch, noch einen Schritt weiterzugehen. Der große globale Trend ist das Thema ganzheitliche Gesundheit. Hier sehe ich eine große Chance der Angebotserweiterung und Positionierung sowie Abgrenzung von großen Unternehmen. Wir gehen diesen Weg konsequent und die Schritte für die kommenden Jahre sind klar definiert und geplant.“

Bildquelle: © ELIXIA Deutschland GmbH

Portrait von Hartmut Wolff, Geschäftsführer Dr. WOLFF Sports & Prevention GmbH

Hartmut Wolff, Geschäftsführer Dr. WOLFF Sports & Prevention GmbH

„Wir schreiben das Jahr 1984. In dem von mir geleiteten Fitnessstudio in Dortmund sind meine Wirbelsäulenkurse voll. Die Mehrzahl der Kursteilnehmer hat zusätzlich einen speziellen Trainingsplan für das Rücken-Gerätetraining. Seit dieser Zeit setze ich mich für das therapienahe Training im Fitnessstudio ein. Heute nenne ich es Physio-Training. Dabei gilt für mich der Grundsatz: Der Patient gehört in die Hand des Physiotherapeuten.

Je nach Indikation und Beschwerden kann der Patient schon frühzeitig unter Anleitung des Therapeuten eine aktive Therapie als gerätegestützte Krankengymnastik wahrnehmen. Nach Abschluss der Therapie und dem Erreichen der nächsten Heilungsphase kommt die Hand des Fitnesstrainers ins Spiel. Vorausgesetzt, er hat die entsprechende Zusatzqualifikation. Das gemeinsame Wirken von Physio und Fitness gelingt in einer Physiotherapie mit entsprechender Trainingsfläche ebenso gut wie in einem Fitnessstudio mit angegliederter Physiotherapie – beides ist eine gelungene Lösung.

Da wir dauerhaft zu wenig Physiotherapeuten haben, stellt sich mir die Frage: Was geht auf der Trainingsfläche auch ohne Physiotherapeuten? Nach meiner Meinung sehr viel! Es braucht die qualifizierten Trainer, eine ca. 50 bis 100 m² große Fläche mit ausgesuchten medizinischen Trainingsgeräten, eine kleine Diagnostik und spezifische Trainingspläne.

Ob in der Physiotherapie oder im Fitnessclub, wir brauchen langfristig Angebote, die die Therapie begleiten und ergänzen, sowie Aufbauprogramme und Trainingspläne für die steigende Zahl der Senioren, die oft mit gesundheitlichen Problemstellungen Fitness und Physio aufsuchen.“

Bildquelle: © Dr. WOLFF Sports & Prevention GmbH

Bildquelle Header: © Pixel-Shot - stock.adobe.com

Die Autoren

  • Kristian Kroth

    Kristian Kroth begann seine Karriere in der Fitnessbranche 2007 als leitender Angestellter in einer Fitnessstudiokette. 2009 machte er sich mit dem Family Fitness Koblenz selbstständig, das er mit dem Reha-Sport früh in Richtung Gesundheitsanbieter entwickelte.

  • Constantin Wilser

    Constantin Wilser ist seit 2006 in der Fitnessbranche als Redakteur tätig. Davor absolvierte er sein Bachelor-Studium der Sportwissenschaften am KIT in Karlsruhe. Seit 2019 ist er Bestandteil des BODYMEDIA-Redaktionsteams. Seit Anfang 2023 ist er Chefredakteur. In seiner Freizeit trainiert der Fußball-Fan gerne im Studio, geht laufen oder fiebert im Fußball-Stadion mit.

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